Hallo zusammen.
Ich darf einen Gast-Blogbeitrag schreiben bei «Be Many.»
Kurz für alle, die mich nicht kennen. Mein Name ist Karina, bin 25 Jahre alt und in einer Beziehung mit Chantal. Ich verwende die Pronomen Sie und keine. Ich bin eine Frau jedoch bin ich intergeschlechtlich. ADHS (Aufmerksamkeitsdefizits-Hyperaktivitätsstörung), PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) und rezidivierende Depressionen sind ständige Begleiter meines Lebens.
Als ich von ihrer dissoziativen Identitätsstörung erfuhr, schreckte mich dies überhaupt nicht ab. Ich war interessiert, alles von Chantal und ihren WG-Mitbewohner*innen zu erfahren. Als sie von ihrer 14 Zimmer-WG sprach, merkte ich, dass es einfach war, mir das so vorzustellen. Und wenn zum Beispiel geraden Lia im Kopf von Chantal da ist, ist Lia am Eingang der WG. Dieses Bild mit der 14 Zimmer Wohnung brannte sich so sehr in meine Vorstellung ein, dass ich es immer interessant fand, wenn Chantal von ihren Zeitgenoss*innen sprach.
Ich durfte am 4.März Tobi kennenlernen. Tobi ist einer der WG-Persönlichkeitsanteilen von Chantals Kopf. Tobi hat mir eine Sprachnachricht geschickt von Chantals IPhone. Tobi ist der Beschützer von Chantal. Meine Frage war, ob er mich mag. Ich frage diese Frage eigentlich immer, weil es mir wichtig ist das auch Chantal’s Persönlichkeitsanteile mich mögen. Tobi also antwortete: «Ja, ich mag dich.» Er scheint mir ein liebevolles und ruhiges Gemüt zu haben.
Ich durfte am Freitag den 3. März Lia kennen lernen. Sie wirkt für mich wie eine fürsorgliche, toughe und respektvolle Frau. Lia ist 40 Jahre alt. Ihre Stimme hört sich nicht sehr anders an wie die von Chantal. Lia steht auf Frauen und sie mag mich natürlich auch was mich überaus freut, weil ich schliesslich eine Frau bin. Lia ist eine Frau, die sehr stilsicher erscheint. Ich mag Lia, weil sie ein grosses Herz hat. Lia hilft Chantal bei schwierigen Entscheidungen.
Am Montag den 27. Februar bekam ich einen Sprachnachricht von Emily. Ihre Sprache unterscheidet sich sehr heftig von den anderen. Emily stotterte in das IPhone.
Wenn Emily am Eingang der WG steht, sieht man es ihr auch an. Sie trägt ein Stofftier in der Weltgeschichte umher. Ihr Wesen ist ein Kind, welches sehr viel Liebe und eine starke Hand benötigt. Emily ist ein Kind und sie wirkt sehr unbeholfen auf mich, weil sie sehr scheu ist und sie benötigt viel Geduld, wenn sie spricht. Als Emily mir eine Sprachnachricht schickte, dachte ich so: heftig wie sich die Stimme verändern kann. Emily war am Eingang von der Kopf-WG, weil Chantal getriggert wurde. Über den Trigger soll aber Chantal, wenn sie möchte, selber eingehen. Ich mag Emily, weil sie anders ist als die anderen Persönlichkeitsanteile von Chantal. Ich bin auch anders und das finde ich super. Ich glaube, wenn Emily eine physische Person wäre, würde ich sie gerne umarmen, weil sie viel Liebe braucht und ich ihr diese Liebe geben möchte.
Am 16. März durfte ich die kleine Lena kennen lernen – welch ein Vertrauensbeweis dies doch sein muss. Denn sie ist unglaublich scheu und sehr traumatisiert. Sie hat sich bei mir gezeigt, weil sie mir so vertraut und Chantal mit ihren Persönlichkeitsanteilen mich liebt. Der Wechsel war so: Chantal wirkte auf mich abwesend und nicht mehr erreichbar. Danach fragte ich sie, ob sie Chantal sei. Es war still. Ich fragte sie wieder und danach sagte eine ruhige und pipsige Stimme, dass sie die kleine Lena sei. Ich sage zu jedem Anteil von Chantal’s Persönlichkeitsanteilen einfach mal «Hallo» und schön, dass dieser Teil gerade da ist. Wir lachten zusammen. Lena hat sich noch niemals jemanden gezeigt, was Chantal mir später bestätigt.
Am 16 März spät abends waren Chantal und ich zusammen als Tobi in den Vordergrund kam. Ich merkte es nicht einmal, weil Chantal entgegen unseren Abmachungen mir nicht mitgeteilt hat, dass es einen Switch gab. (was mich mit meinem ADHS ziemlich überfordern kann) Plötzlich sagte Tobi so zu mir: Na erkennst du mich nicht mehr? Ich so: Bist du Tobi? Tobis Stimme wirkt einfach anders. Er redet ruhiger, tiefer und erotischer. Wir redeten während dem munter weiter und wir sprechen über Chantal und unsere Beziehung. Wir hatten ein tiefes Gespräch über verschiedene Themen. Tobi findet: Chantal wirkt im Kopf viel befreiter und lockerer seitdem wir uns kennen. Wir verabschiedeten uns mit einem Kuss voneinander. Ich finde diese Wechsel immer so unglaublich spannend und interessant, weil es zu Chantals Leben dazu gehört.
Etwas, was mir Chantal erzählt hat, ist, dass sich alle Persönlichkeitsanteile, die ich bis jetzt in irgendeine Art und Weise kennen lernen durfte, mögen und sie sich sehr für Chantal freuen. Wenn Chantal und ich zusammen sind, kann ich die Freude von den 14 WG-Bewohner*innen spüren.
Ich führe also mit Chantal eine Art «innere Polyamorie». Ich bin pansexuell was soviel heisst das ich mich in den Menschen mich angezogen fühle: Sexuell, persönlich, romantisch und sozial. Aus diesem Grund liebe ich Chantal so sehr, sodass wir uns gegenseitig stützen.
–Karina
