Peinlich, aber irgendwie auch süss

Ohje, diese Woche hatte ich wieder grosse „Mühe“ mit meiner WG. Aber keine Angst – es ist nichts Schlimmes passiert (dies nur zur kollektiven Beruhigung vorneweg). Trotzdem hinterlassen mich die Ereignisse ratlos, da ich eigentlich dachte, dass meine WG mittlerweile im Vergleich zu früher ziemlich gut funktioniert. Doch zu früh gefreut! Seit der Scheidung vor gut einem Monat und dem damit einhergehenden Bewusstsein für das „Auf-Sich-Gestellt-Sein“ hat sich ein neuer, bislang verborgener Persönlichkeitsanteil gemeldet bzw. übernimmt regelmässig das Kommando, ohne, dass ich etwas dagegen tun kann. Das Problem – sie ist anscheindend noch sehr, sehr jung. Sie sagt, dass sie nicht will, dass ich ihren Namen oder ihr Alter hier nenne, das respektiere ich natürlich. Darüber schreiben will ich trotzdem, weil es meinen momentanen Alltag treffend beschreibt: chaotisch, peinlich und wortwörtlich sprachlos.

Übernimmt dieser angesprochene Persönlichkeitsanteil die Kontrolle, dann wird es für Aussenstehende erstmal irritierend, oder wie mir eine Pflegefachkraft vor Kurzem sagte, „verstörend“: Aus dem Kontext, wenn ich wieder in den Vordergrund rausche, schliesse ich, dass dieser Persönlichkeitsanteil total vernarrt in – ihr erratet es – PLÜSCHTIERE, Kinderfilme und Süssigkeiten ist. Hinzu kommt, dass sie ziemlich stark stottert und teilweise kaum einen Ton von sich geben kann. Ihr denkt jetzt wahrscheinlich: „Ist doch süss!“. Ich muss sagen – Jein. Letzten Mittwoch brachte mich dieser Persönlichkeitsanteil kurzzeitig ins Schwitzen. Was ist passiert? Sie wollte offenbar unbedingt Süssigkeiten in einem lokalen Supermarkt kaufen gehen. Die Süssigkeiten hatte sie offenbar gefunden, doch an der Kasse angelangt, wusste sie angeblich nicht, wieso, wie und wie viel sie zahlen musste. Sie ist einfach noch zu klein dafür. Dies veranlasste die Verkäuferin dazu, die Polizei zu rufen, da ich als „optisch erwachsene Frau“ nicht zahlen konnte, was diese Person ziemlich verstört hinterliess (aber das ist ein anderes Thema).

Ich will die Episode nicht länger machen, als dass sie tatsächlich war. Zum Glück konnte ich (Chantal) irgendwann das Kommando übernehmen und die Sachlage erklären. Selbstverständlich habe ich gezahlt und die Gemüter beruhigten sich wieder. Was bleibt ist dieses peinliche Gefühl, schliesslich muss ich wahrscheinlich noch eine Weile in diesem Laden einkaufen gehen. Aber ich kann dieser Situation auch etwas Gutes abgewinnen, nämlich die Fähigkeit der Kleinen, sich nach solanger Zeit zu melden und sich nicht mehr zu verstecken.

Dies ist (wahrscheinlich) nur möglich, weil sie sich während der Beziehung zu meinem Ex-Mann gar nie zeigen durfte, da sonst die Institution der Ehe gewackelt hätte (Bemerkung: schlussendlich hat sie das auch ohne Zutun dieses Persönlichkeitsanteils ;-)). Erst jetzt erhält sie den Raum, den sie braucht, um Teil unserer WG zu werden. Sie ist ziemlich verängstigt und klammert sich stets an den gleichen Teddy, was mein Therapeut als Übergangsobjekt benannt hat – ein Gegenstand also, der vorübergehend Sicherheit vermittelt, solange dies ein anderer Persönlichkeitsanteil oder externe Person nicht ausstrahlen kann.

Ich versuche aber mein Bestes, um diese Sicherheit auf die Kleine zu übertragen. Heute habe ich zum Beispiel, auf Anraten meines Therapeuten, ihr aus einem Kinderbuch vorgelesen. Ob es tatsächlich funktioniert hat, kann ich (noch) nicht beurteilen – ich bin in der Mutterrolle noch ziemlich unerfahren und daher unbeholfen. Trotz den negativen Konsequenzen, wenn sie im Vordergrund ist, habe ich sie nach so kurzer Zeit, zumindest aus der Ferne und hypothetisch, lieb gewonnen und freue mich, wenn die Integration besser funktioniert und ich mit ihr in Kontakt treten kann 🙂

–Chantal

Gastbeitrag: Beziehung mit einer DIS-Patientin

Hallo zusammen. Ich darf einen Gast-Blogbeitrag schreiben bei «Be Many.» Kurz für alle, die mich nicht kennen. Mein Name ist Karina, bin 25 Jahre alt und in einer Beziehung mit Chantal. Ich verwende die Pronomen Sie und keine. Ich bin eine Frau jedoch bin ich intergeschlechtlich. ADHS (Aufmerksamkeitsdefizits-Hyperaktivitätsstörung), PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) und rezidivierende Depressionen sind…

Von Hirnmuskelkater und Studios

Ihr fragt euch sicherlich, was es mit dem Titel dieses Beitrags auf sich hat. Nun, für viele Personen aus meinem Umfeld ist die dissoziative Identitätsstörung (DIS) ein schwer vorstellbares Konstrukt, was des Öfteren einer Klärung bedarf. Dies erfordert nicht nur Offenheit dieser Personen für die Sache an sich, sondern setzt eine gewisse Kreativität meinerseits voraus.…

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