Es ist wieder passiert – ich (Chantal) habe vollständig die Kontrolle über mich und meinen Körper verloren. Der folgende Text könnte für einige Personen verstörend oder irritierend sein. Wenn Du auch mit Suizidgedanken zu kämpfen hast oder Dich gerade nicht gut fühlst – lies bitte diesen Text nicht oder zumindest nicht alleine.
Ich versuche trotz meinen Schwierigkeiten auch positiv über meinen Umgang mit der dissoziativen Identitätsstörung (DIS) zu schreiben. Doch ich muss gestehen – heute ist mir gar nicht danach. Seit gestern bin ich wieder zu Hause, nachdem ich eine Woche lang stationär behandelt werden musste. Etwas Furchtbares ist passiert. Um es zu verarbeiten, möchte ich diesen Text schreiben, in der Hoffnung, Euch auch diese Seite der Erkrankung aufzuzeigen. Vielleicht führt das zu einem besseren Verständnis von DIS-Patienten.

Alles begann schon vor 3 Wochen als mein Scheidungstermin vor Gericht stattfand. Ich switchte regelmässig in andere Persönlichkeitsanteile, war zunehmend angespannt, hatte Suizidgedanken und war einfach „total neben mir“. Es war mir zu dieser Zeit nicht bewusst, aber es sollte ein Vorbote von etwas noch Schlimmerem sein. Letzte Woche switchte ich in einen Persönlichkeitsanteil, der nur selten vorne ist, der sich aber in der Qualität deutlich von den anderen abhebt. Aus Schutz dieses Persönlichkeitsanteils und auch da er/sie dies wünscht, werde ich seinen/ihren Namen nicht nennen. Es fing mit ganz harmlosen Textnachrichten an, die für den Empfänger irritierend und zum Teil völlig unverständlich waren. Ich (Chantal) hatte die Kontrolle verloren und dieser Persönlichkeitsanteil konnte schalten und walten wie es ihm/ihr beliebte. Gegen aussen war eine deutliche Sprachstörung offensichtlich, was es für meinen Therapeuten einfach machte, zu erraten, wer gerade das Kommando hat. Gemäss ihm war die letzte Woche geprägt von psychotischem (=Verlust des Realitätsbezugs) Verhalten. Dies zeigt sich auch in folgendem „Satz“, den ich morgens um 3 Uhr an jemanden schrieb: „d baum muss mit […] reden, sie wollen das ich gehe, nehme das auto“. Also ich weiss nicht wie es euch geht, aber ich verstehe nicht, was damit gemeint ist.
Wie Mark Forster in seinem Hit „Willkommen Zurück“ so treffend singt „Vielleicht lief es zu perfekt, und jetzt kommt’s wie’s kommen musste“ hatte die letzte Woche am Freitag ihren Höhenpunkt erreicht: Ich habe mir wieder versucht das Leben zu nehmen…
Was ich fühle? Ich bin entsetzt, sprachlos und traurig. Die Therapie lief sehr gut und ich konnte grosse Fortschritte verzeichnen. Da ist ein erneuter Suizidversuch mit Fahndung, Polizeieinsatz und Spitalaufenthalt nur schwer zu verkraften. Was mir vor allem schwerfällt: Ich kann diese „Episode“ nicht wirklich einordnen. Ich mache mir grosse Vorwürfe, dass ich die Vorboten der letzten Wochen nicht ernst genug genommen und mich nicht gut um mich gekümmert habe. Es tut mir vor allem leid für diejenigen Personen, denen ich einen Schrecken verpasst habe und die alles gegeben haben, damit ich „gefunden und gerettet“ wurde. An dieser Stelle – ein grosses DANKE an alle Beteiligten. Diesen Text widme ich ihnen!
Selbstverständlich würde ich (Chantal) mir heute nicht mehr das Leben nehmen wollen. Umso schwerer fällt es mir, über dieses erneute Ereignis zu schreiben. Ich kann nur schwer beschreiben, wie es sich anfühlt, dermassen die Kontrolle zu verlieren, sodass Gefahr für Leib und Leben besteht. Ich bin auch ein wenig frustriert, was wahrscheinlich auch damit zusammenhängt, dass ich hohe Ansprüche an mich selbst stelle – aber das ist nochmals ein anderes Thema. Dieser Suizidversuch hinterlässt eine gewisse Ratlosigkeit und Ohnmacht. Hätte ich ihn verhindern können? Eine Frage, die ich mir seit einer Woche dauernd stelle.
Leider weiss ich aus Erfahrung, dass es nicht viel nützt, sich allzu grosse Vorwürfe zu machen und in Gedanken am Geschehenen verhaftet zu bleiben. Ich gebe mir Mühe, jeden Tag eine kleine zukunftsorientierte Geste zu machen, um mich daran zu erinnern, dass das Leben eigentlich schön und lebenswert ist. Ich hoffe, dass alle Persönlichkeitsanteile dies auch mitbekommen und dass dadurch solche Vorkommnisse verhindert werden können. Ich entschuldige mich, dass es heute mal wieder ein eher trauriger und nachdenklicher Text von mir war – leider ist das Leben nicht immer auf der Sonnenseite. Aber eines ist mir bewusst: Auf Regen folgt Sonnenschein!
–Eure Chantal
- Alle
- Depression und Angststörungen
- Dissoziative Identitätsstörung (DIS)
- Persönlichkeitsstörungen
- Psychische Erkrankungen
- Psychotische Störungen
- Public Health
- Sonstiges
- Suchterkrankungen
Ein Traum wird wahr
In diesem Blog versuche ich stets, die positiven, sowie negativen Seiten der dissoziativen Identitätsstörung aufzuzeigen. Klar, während gut 15 Jahren haben die negativen Aspekte dominiert, doch es gab immer wieder Lichtblicke. So konnte ich das Gymnasium abschliessen, erreichte einen Bachelorabschluss mit 24 Jahren und heiratete. Diese positiven Ereignisse und Lebensabschnitte hielten mich quasi über Wasser…
Der sichere Ort für meine WG
In der Therapie der dissoziativen Identiätsstörung (DIS) ist eine der ersten Methoden herauszufinden, welches der sichere Ort eines jeden Anteils ist. Das kann ein realer Ort sein – muss aber nicht. Fiktive Orte sind durchaus häufig. Ich persönlich stelle mir nur reale Orte vor, weil ich mich mental besser dorthin begeben kann. Wichtig ist, dass…
Gastbeitrag: Beziehung mit einer DIS-Patientin
Hallo zusammen. Ich darf einen Gast-Blogbeitrag schreiben bei «Be Many.» Kurz für alle, die mich nicht kennen. Mein Name ist Karina, bin 25 Jahre alt und in einer Beziehung mit Chantal. Ich verwende die Pronomen Sie und keine. Ich bin eine Frau jedoch bin ich intergeschlechtlich. ADHS (Aufmerksamkeitsdefizits-Hyperaktivitätsstörung), PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) und rezidivierende Depressionen sind…