Dies ist der Beginn von etwas Neuem! Heute wurde bei mir nach einer (jahrelangen) Odyssee mit unzureichenden Diagnosen und entsprechenden Therapien definitiv eine dissoziative Identitätsstörung (DIS, Synonym: multiple Persönlichkeitsstörung) diagnostiziert. Ich muss gestehen – ich bin nicht überrascht! Nachdem ich mein Medizinstudium fast abgeschlossen hatte, wusste ich schon immer, dass mit mir „etwas nicht stimmt“, da ich seit meiner frühen Kindheit Symptome wie Amnesien (Erinnerungslücken), Dissoziationen, unbewusste Selbstverletzungen oder auditive Halluzinationen (Stimmen) erlebe.

DIS ist selten und ähnelt häufigeren Erkrankungen wie der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPD) oder der Schizophrenie, was die DIS-Diagnose zusätzlich erschwert. Darüber hinaus tragen Unkenntnis und falsche Vorstellungen über die klinischen Manifestationen (danke, Hollywood!) zu einer unzureichenden Behandlung der betroffenen Patienten bei. Aber was genau ist DIS? Was sind die Symptome der Patienten? Heute möchte ich euch eine kurze Einführung in das Thema geben. Als eine Person mit einer patientenzentrierten UND professionellen medizinischen Perspektive kann ich Einblicke in eine Welt geben, die vielen von uns noch unbekannt ist. Dies ist der Start meines Blogs „Be Many!“, der das Ziel hat, über das tägliche Leben mit DIS zu berichten (ihr werden überrascht sein, wie bereichernd es ist!) und die neueste Forschung auf diesem Gebiet vorzustellen. Ich werde u.a. interessante Themen wie soziale und berufliche Folgen, Therapieansätze oder Funktionen bestimmter Persönlichkeitstypen oder sogenannter Ich-Zustände behandeln. Damit möchte ich einen Beitrag zur Entstigmatisierung dieser Krankheit leisten. Viel Spaß beim Lesen!
Nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) ist die dissoziative Identitätsstörung (DIS) „eine Störung, die durch das Vorhandensein von zwei oder mehr Identitäten mit unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Persönlichkeitsmustern gekennzeichnet ist, die wiederkehrend die Kontrolle über das Verhalten der Person übernehmen; dies geht einher mit einer retrospektiven Lücke in der Erinnerung an wichtige persönliche Informationen, die weit über das normale Vergessen hinausgeht.“ Die Erkrankung kann weiterhin durch Intrusionssymptome (z. B. Flashbacks, unklare Schmerzen, auditive Halluzinationen), Funktionsverluste (z. B. Amnesie von gegenwärtigen Ereignissen, Entfremdung vom eigenen Körper oder der Umwelt) oder andere Veränderungen des Bewusstseins (z. B. Verlust der Konzentrationsfähigkeit, tranceartiges Verhalten) gekennzeichnet sein.

Die Dissoziative Identitätsstörung entwickelt sich meist als Folge traumatischer Erlebnisse (physischer, psychischer und emotionaler Missbrauch) in der frühen Kindheit. Die Psyche reagiert auf extrem belastende Ereignisse mit der Abspaltung von Teilen der Persönlichkeit (sog. Dissoziationen), um die Situation zu bewältigen. Dieser (Schutz-)Mechanismus kann als Flucht verstanden werden und führt zu multiplen „Persönlichkeiten“ (Anmerkung: es handelt sich um „Ich-Zustände“ und nicht um „völlig eigenständige Persönlichkeiten“). Manche Patienten entwickeln Ich-Zustände, die einem bestimmten Alter entsprechen oder unterschiedliche Fähigkeiten, Emotionen und Verhaltensweisen aufweisen. Aus diesem Grund unterscheiden sich die klinischen Manifestationen bei den Patienten, was eine einheitliche Definition der Diagnose schwierig macht. Diese Tatsache ist faszinierend (und auch ein bisschen beängstigend) und macht das individuelle Patientenerlebnis einzigartig. Sie erfordert von Psychotherapeuten einen besonders individuellen Therapieansatz. Über die spezifische Therapie werde ich zu einem späteren Zeitpunkt sprechen – weil es ein so breites Thema ist!
Heute habe ich diesen Text als „Chantal“ (mein „Host-Ich-Zustand“) geschrieben. Normalerweise ist der „Host-Ich-Zustand“ derjenige, der das tägliche Leben organisiert. Für mich ist es derjenige, der mir am meisten zusagt, weil ich die meisten meiner sozialen und beruflichen Fähigkeiten „mit“ ihm erworben habe. So habe ich z.B. den größten Teil meines Studiums im „Host-Modus“ absolviert und sogar als „Chantal“ geheiratet (und ich kann mich noch an den Hochzeitstag erinnern – Glück gehabt!). Ihr werdet feststellen, dass sich die Schreibweise und die Themenwahl von Ich-Zustand zu Ich-Zustand unterscheiden werden. Nachdem ich euch meine acht „Persönlichkeiten“ vorgestellt habe, könnt ihr vielleicht erraten, welche davon gerade am Werk ist 😉 Bis bald!
–Chantal
In English:
- Alle
- Depression und Angststörungen
- Dissoziative Identitätsstörung (DIS)
- Persönlichkeitsstörungen
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Ein Traum wird wahr
In diesem Blog versuche ich stets, die positiven, sowie negativen Seiten der dissoziativen Identitätsstörung aufzuzeigen. Klar, während gut 15 Jahren haben die negativen Aspekte dominiert, doch es gab immer wieder Lichtblicke. So konnte ich das Gymnasium abschliessen, erreichte einen Bachelorabschluss mit 24 Jahren und heiratete. Diese positiven Ereignisse und Lebensabschnitte hielten mich quasi über Wasser…
Der sichere Ort für meine WG
In der Therapie der dissoziativen Identiätsstörung (DIS) ist eine der ersten Methoden herauszufinden, welches der sichere Ort eines jeden Anteils ist. Das kann ein realer Ort sein – muss aber nicht. Fiktive Orte sind durchaus häufig. Ich persönlich stelle mir nur reale Orte vor, weil ich mich mental besser dorthin begeben kann. Wichtig ist, dass…
Gastbeitrag: Beziehung mit einer DIS-Patientin
Hallo zusammen. Ich darf einen Gast-Blogbeitrag schreiben bei «Be Many.» Kurz für alle, die mich nicht kennen. Mein Name ist Karina, bin 25 Jahre alt und in einer Beziehung mit Chantal. Ich verwende die Pronomen Sie und keine. Ich bin eine Frau jedoch bin ich intergeschlechtlich. ADHS (Aufmerksamkeitsdefizits-Hyperaktivitätsstörung), PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) und rezidivierende Depressionen sind…